You are currently viewing Der Stress der chinesischen Fledermaus

Der Stress der chinesischen Fledermaus

Im 14. Jahrhundert kostete der Schwarze Tod, die Pest, einem Drittel der europäischen Bevölkerung das Leben. Wie man weiß, spielen Flöhe und Ratten bei der Übertragung der Pestkeime eine wichtige Rolle. Dieser Tage wurde von einem englischen Forscherteam eine interessante Studie veröffentlicht, wonach das Corona 9 Virus von umweltgestressten Fledermäusen in China produziert wird. Vergleichbar sei das mit dem Herpesvirus im Menschen: die meisten tragen es in sich, es schlummert, bis es bei Stress aktiviert wird und die Fieberblase blüht.

Nun ist aus vielen Gründen Covid 19 nicht mit der Pest vergleichbar, aber eines ist gleich: die Welt wird sich ändern. Aufgabe der Politik, der Politiker, war und ist zu allen Zeiten, den Menschen die Veränderungen zu erklären und die notwendigen Schritte zu setzen. Das ist freilich ein riskantes Unterfangen, eine Gratwanderung. Unsere Regierung, im Bund wie in der Stadt, macht einen guten Job. Der Kanzler und auch der Gesundheitsminister sind Meister der Kommunikation. Weniger meisterlich ist bislang die Umsetzung in den Ministerien, insbesondere das Gesundheitsministerium schießt so manchen „Bock“.

Österreich hat jedenfalls in dreierlei Hinsicht Glück im Unglück. Das Banale zuerst – der Zeitpunkt des Auftretens des Virus. Man stelle sich vor, Covid 9 wäre nicht im März 2020, sondern im März 2019 nach Österreich gelangt: dann würden Herbert Kickl und die unsäglich famose Beate Hartinger-Klein  neben Sebastian Kurz im Fernsehen stehen. Ibiza sei Dank! Oder ein halbes Jahr später: dann wäre das brave Beamtenteam um Frau Bierlein mit der jetzigen Situation konfrontiert. Felix Austria!

Unser zweites Glück: unser Gesundheitssystem – besonders in Wien. Frankreich zB. hat doppelt so viele Intensivbetten, aber 9 mal so viele Einwohner wie Österreich. Dort geht, wie in Italien und Spanien, die Welt nicht nur ökonomisch unter. Viktor Orban braucht seine Diktatur nur aus einem Grund: um die Misere seines Gesundheitssystems zu verschleiern und damit politisch überleben zu können. In Osteuropa wie in den USA wird die Virusbedrohung so behandelt, wie sie bei uns vor hundert Jahren behandelt worden wäre: man wird halt krank, legt sich ins Bett, überlebt oder eben nicht.

Drittens – und das ist unser größtes Glück: unser Volk, unsere Gesellschaft ist sich einig. Wir kämpfen um jedes Menschenleben. Damit ist unser Verständnis vom Menschen im 21.Jahrhundert angekommen. Wenn ein konservativer Bundeskanzler, ein konservativer Finanzminister entschlossen verkünden: „Koste es, was es wolle.“ -dann muss man den Hut ziehen und dreimal sagen: glückliches Österreich! Manch hartleibiger Ökonom denkt sich vielleicht: Das ist Wahnsinn. Völlig überzogen. Die Feuerwehr zerstört mehr als der Brand. Dem sei folgendes ausgerichtet: erstens hat unsere Haltung auch eine wichtige ökonomische Ausstrahlung in Zukunft. Alle begabten Jungen werden sich bemühen, in Österreich zu arbeiten und zu leben – Wissenschaftler, Sportler, Künstler – weil sie eines wissen: IN ÖSTERREICH WIRD NICHT FÜR GELD GESTORBEN. Und zweitens – die harte Haltung wird immer nur dann aufrechterhalten, wenn es einen nicht selbst betrifft. Das Menschenbild des 21. Jahrhunderts geht nicht davon aus, dass man selbst mehr wert ist als der Nachbar. Das ist ein wichtiger Kultursprung – und das Schöne ist: Wir sind uns einig.

Ein paar politische Spitzen kann ich mir bei diesem Lob und aller Freude dennoch nicht verkneifen:

Die Wiener FPÖ hat den Wahlkampf eröffnet und plakatiert: „Holen wir unser Wien zurück“. Heißt das: Ausländische Ärzte, Krankenschwestern, Erntehelfer, 24-Stunden PflegerInnen geht nach Hause und gebt uns „unser“ Wien zurück?

Dann: der Gewerkschaftspräsident Wolfgang Katzian schimpft auf „Hidden Champions mit ihren g´naglten Bock“. Zur Erklärung: Hidden Champions sind kleine Unternehmen, die höchst erfolgreich auf dem Weltmarkt reüssieren. Ich wünsche mir Gewerkschaftsvertreter ohne „Spruch“ und Gelümmel. Ich vermisse Persönlichkeiten wie Rudolf Kaske und Erich Foglar. Es ist schade, dass die gute Arbeit der Gewerkschaft in dieser Krise durch schlechte Medienauftritte überlagert wird.

Weiters: die Bauerntochter Elisabeth Köstinger findet es in Ordnung, wenn Zivildiener, deren Dienstzeit verlängert wird, deutlich geringer entschädigt werden als solche, die jetzt wieder neu in Dienst treten. Weiters findet sie es in Ordnung, wenn der Schlosspark Schönbrunn und der Augarten geschlossen bleiben. Diese Kurz-Freundin sollte Bauernpolitik in ihrer Heimat Kärnten machen.

Dazu: die Grünen machen Klientelpolitik und damit politisches Kleingeld, wenn sie in Wien Bundesstraßen für Radfahrer und Spaziergänger sperren wollen: statt in Schönbrunn gehen Sie bitte auf der Westeinfahrt spazieren! Da möchte jemand Covid 9 nützen, um nicht mehrheitsfähige Aktionen zu setzen.

Schließlich: „Time for a change“ heißt es nicht in Wien, wo die Landesregierung unaufgeregt und effizient für die BürgerInnen arbeitet – sondern im heiligen Land Tirol: zuerst die Gier der örtlichen Wirtschaftsbonzen, dann das patscherte Krisen- und Medienmanagement von Günther Platter.

Wie wird es weitergehen? Die Globalisierung wird sich fortsetzen, sie wird aber eine andere Richtung nehmen. In der Sozialdemokratie wird vor allem von den Jungen derzeit leidenschaftlich diskutiert, ob der Sozialstaat nur in einer geschlossenen Gesellschaft möglich ist. Der Covid 19 Virus gibt uns die Antwort: auf der einen Seite ziehen sich alle Staaten in die eigenen Grenzen zurück und auf der anderen Seite wird klar, dass es keine Grenzen gibt. Natürlich ist es gut, wenn Österreich diese Krise besser als andere bewältigt, bewältigen kann. Anderseits wird klar, wie sehr wir vom Erfolg unserer Nachbarn, ja aller Staaten der Welt auch abhängig sind. Ja, der Sozialstaat kann realistisch nur in geschlossenen Gesellschaften realisiert werden, der Scheck muss gedeckt sein, alles andere ist linke Träumerei. Dennoch: Ideologie und Ziel kann das nicht sein. Die „Geburtslotterie“ ist dumm und ungerecht: ein Kind mit einem ägyptischen Pass hat wesentlich schlechtere Chancen als ein Kind mit österreichischem Pass und kann gar nichts dafür.

Für die Europäische Union ist diese Krise Gefahr und Chance zugleich. Die Staaten haben eindrucksvoll demonstriert, wer die wahre Souveränität hat: Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. So gesehen hat Covid 19 deutlich gezeigt, wo die EU bleibt, wenn es ernst wird. Auf der anderen Seite wird es Konsequenzen geben müssen für das willkürliche Absperren von Grenzen, das Zurückhalten von bezahlten Hilfsmitteln, für die nicht gelöste Reisemöglichkeit von PflegerInnen sowie bei der Koordination von Ressourcen des Gesundheitssystems.

Jede Krise eröffnet eine Chance. Die Frage ist, wie rasch sie genützt wird. Die gegenwärtige Krise bietet eine Chance auf Entschleunigung unseres Lebens, auf Besinnung auf das Wesentliche, auf den klaren Blick auf unsere Abhängigkeit von anderen, auf Verantwortung und Solidarität. Zu allen Zeiten der menschlichen Kultur war das Maßlose die Gefahr und hat zu schmerzhaften Korrekturen geführt. Gegenwärtig das Maßlose des Finanzkapitalismus, das Maßlose des Konsums, das Maßlose des Individualismus. Wir werden aus der Krise lernen. Meine größte Hoffnung ist, neben dem erwähnten Lerneffekt des Maßhaltens, dass wir unser Menschenbild schärfen: jeder Mensch zählt, wir kämpfen um jedes Leben und wir müssen alles tun, dass wir uns das in Zukunft leisten können.

Bleiben oder werden Sie gesund!

Stella Krassnij

Schreibe einen Kommentar